Italien im Halbfinale!
Spektakel und „Magie“: Wie das „neue“ Italien auch Belgien zermürbte. 2:1 klingt nicht unbedingt nach Spektakel, doch das Viertelfinale zwischen Italien und Belgien war nicht weniger als das. Die Squadra holte einen neuen Rekord, muss aber auch einen heftigen Ausfall verkraften.
Die Startaufstellung
Italiens Nationalelf hatte ein spektakuläres Viertelfinale mit 2:1 gewonnen und die Roten Teufel damit zurück in die Hölle der ewigen Geheimfavoriten geschickt. Der Abschied vom Spielort München hatte es in sich. Die taktische Brillanz der Azzurri, die auch noch zwei traumhafte Tore schossen, das Tempo der Belgier in der Offensive, die dem Ausgleich ganz nahekamen – allerfeinste Unterhaltung. Es war das wohl beste Spiel dieser an sehenswerten Spielen keineswegs armen Europameisterschaft, eigentlich fehlten nur eine Verlängerung und ein episches Elfmeterschießen.
Nach nur 55 Sekunden war das Boarding bereits beendet und die Reiseflughöhe erreicht. Kevin De Bruyne spielte steil auf Romelu Lukaku. Der versuchte Gianluigi Donnarumma zu umrunden, dabei bekam er allerdings die Kugel vom Fuß gefischt. Im direkten Gegenzug versuchte sich Federico Chiesa rechts durchzudribbeln. Das Ganze endete bei Thorgan Hazard, der das Foul zog. Sein Bruder, der sich beim 1:0 gegen Portugal noch eine Verletzung zuzog, saß erstmal auf der Bank und wurde durch Jérémy Doku ersetzt.
Es entwickelte sich ein durchaus temporeicher Schlagabtausch – mit dem ersten Tusch in der 13. Minute. Ein Insigne-Freistoß rutschte bis an den zweiten Pfosten zu Leonardo Bonucci durch. Der berührte den Ball noch leicht, stand dabei aber abseits, was Slavko Vincic nach Rücksprache mit VAR Bastian Dankert feststellte. Weiter 0:0.
In der 22. Minute bot sich den Belgiern die erste Konterchance. Kevin De Bruyne hatte auf der rechten Seite viel Platz und zog in die Mitte. Seinen langen Schuss aufs lange Eck parierte Donnarumma herausragend, genau wie vier Minuten später gegen Lukaku.
Direkt im Gegenzug erarbeiteten sich die Italiener eine Reihe an Halbchancen. In der 31. Minute war der Korken von der Sektflasche. Nach einem hohen Ball in Belgiens Strafraum schien die Situation schon geklärt. Doch Jan Vertonghen machte das Ganze nochmal scharf, indem er den Ball verlor. Marco Verratti übernahm und setzte Nicolò Barella in Szene. Der brachte sich mit einer tollen Körpertäuschung in Szene und schloss wuchtig ins lange Eck zum 0:1 ab.
Italien blieb dran. Nach einem Schlenzer von Federico Chiesa, der vier Minuten vor der Pause nur knapp am langen Eck vorbeiging, zog Lorenzo Insigne in der 44. Minute von links nach innen, wurde nur halbherzig angegriffen und schlenzte maßgenau in den rechten Winkel – 0:2!
Aber noch vor der Pause fand Belgien ins Spiel zurück. Jérémy Doku setzte sich gegen Giovanni Di Lorenzo durch, der ihn zu Fall brachte. Vincic zögerte kurz, zeigte dann aber auf den Punkt. Romelu Lukaku verlud Donnarumma und traf in der zweiten Minute der Nachspielzeit mittig zum 1:2. Mit der knappen italienischen Führung ging es in die Kabine. Beide Mannschaften lieferten sich ein Hochgeschwindigkeitsspiel auf allerhöchstem Niveau. Die Partie wäre auch eines Finales würdig gewesen.
Beide Mannschaften verzichteten zur Pause auf Wechsel. Italien versuchte in den ersten Minuten eine Druckphase aufzuziehen und kam durch Chiesa zu einer guten Möglichkeit. Der verlor beim Abschluss aber die Bodenhaftung, weshalb sein Schuss das Tor verfehlte.
Zehn Minuten nach Wiederanpfiff tankte sich Doku bis an die Grundlinie, seine Hereingabe landete bei Donnarumma. Wesentlich gefährlicher wurde es in der 61. Minute: Wieder konnte Doku links Tempo aufnehmen, steckte im perfekten Moment auf De Bruyne durch. Der schloss ab, am zweiten Pfosten stand Romelu Lukaku frei. Leonardo Spinazzola blockte gerade noch auf der Linie.
Es war weiterhin ein extrem temporeiches und wildes, aber auch sehr hochklassiges Spiel. 66. Minute, Lorenzo Insigne chippte die Kugel stark in den Lauf von Spinazzola, dessen Direktabnahme links vorbeiging.
20 Minuten vor Schluss brachte Roberto Martínez Nacer Chadli und Dries Mertens für Youri Tielemans und Thomas Meunier. Chadli war keine 60 Sekunden nach seiner Einwechslung gleich an der nächsten Großchance auf den Ausgleich beteiligt. Von Mertens in Szene gesetzt gab er in die Mitte, wo zuerst Lukaku und dann Thorgan Hazard verpassten. Dabei verletzte sich Chadli allerdings und musste direkt wieder ausgewechselt werden. Für ihn kam Dennis Praet.
Auch die Italiener mussten zwölf Minuten vor Schluss wechseln, als sich Leonardo Spinazzola im Vollsprint ohne gegnerische Einwirkung einen Achillessehnenriss zuzog und mit der Trage vom Platz befördert werden musste. Sky Italia bestätigte die Diagnose. Damit fällt Spinazzola für mehrere Monate aus.
Danach nahm sich das Spiel eine kleine Auszeit, eine sehr kleine. 84. Minute, Jérémy Doku zog einmal mehr von links nach innen, ließ dabei zwei Italiener spektakulär stehen. Sein Schuss strich knapp über den Querbalken.
Nachdem auch ein Freistoß von Kevin De Bruyne aus gut 20 Metern wirkungslos verpuffte, brachten die Italiener das Ergebnis über die 95 Minuten. Damit stehen sie erstmals seit 2012 wieder im Halbfinale. Damals setzten sie sich ebenfalls 2:1 gegen Deutschland durch. Belgien scheitert wie schon 2016 im Viertelfinale. Damals gab es ein überraschendes 1:3 gegen Wales. Der Sieg für Italien geht absolut in Ordnung, weil sie sich insgesamt cleverer und spielstärker präsentierten, genau wussten, wann sie den Ball schnell laufen lassen und wann halten mussten. Belgien hatte zwar zwei Großchancen auf den Ausgleich, konnte sich einmal mehr nicht belohnen. Damit trifft Italien kommenden Dienstag in Wembley und der Neuauflage des 2012er-Finals auf Spanien. Die setzten sich bereits am frühen Abend 4:2 nach Elfmeterschießen gegen die Schweiz durch.
Statistiken zum Spiel:
Man of the Match: Lorenzo Insigne.
Italien baut Erfolgsserien weiter aus
Im Halbfinale wartet auf die Squadra Azzurra in London nun Spanien. Die Mannschaft von Roberto Mancini marschiert weiter und baut den Rekord weiter auf. 32. Spiel in Folge ohne Niederlage. Ziel ist es die Marke von 35 Spiele zu erreichen, die aktuell Brasilien und Spanien in sich haben.
Die Pressestimmen aus Italien
Gazzetta dello Sport: „Ole Italia! Bei der Schlacht gegen die Belgier in München sind die Azzurri einfach fabelhaft. Barella und Insigne schaffen Meisterwerke, der monströse Chiellini zwingt Lukaku zur Kapitulation. Wir verdienen diesen EM-Titel“.
Corriere dello Sport: „Sag mir, dass das wahr ist! Ein fantastisches Italien in München: Belgien geschlagen, wir sind im Halbfinale. Traumhaftes Italien. Singt, umarmt euch. Der Himmel über München ist azurblau. Jetzt beginnt Italien wirklich groß zu träumen. Der Titel ist keine Fata Morgana mehr. La Roja zittert: Jetzt kommt Italien.
Tuttosport: „Du bist wunderschön! Belgien geschlagen, Italien ist im Halbfinale gegen Spanien. Wie schön es ist, Italiener zu sein! Tor von Barella, Magie von Insigne: Wir fahren nach London! Super Donnarumma. Chiellini, ein Teufel zwischen Teufeln“
Corriere della Sera: „In München ist eine Ära zu Ende gegangen, jene des Catenaccio. Mancini hat ein neues Italien gegründet, das die Rivalen zur Verteidigung verurteilt. Die Intelligenz des Spiels hat gesiegt. Mancini zwingt seine Jungs zum schnellen Spiel.“
La Repubblica: „Alle verrückt für Italien: Insigne und Barella, zwei Talente mit Niveau, stürzen die Giganten. Fußball kann wunderbar unter 1,70 Meter sein. Man kann Fußball spielen, wie ein Riese und man kann außergewöhnliche Dinge in einem kleineren Körper tun, der aber bewundernswert den Ball herumschleudert.“
Die Stimmen aus Belgien
De Standaard: „Insigne zerstört den belgischen EM-Traum. Gespielt, gekämpft, aber verloren. Nach einem fulminanten Fußballspiel gingen die Red Devils gegen Italien zu Boden. Melancholie in München. Wieder nicht! Dies hätte das Jahr sein sollen, in dem Belgien den begehrten Pokal mit nach Hause nimmt. Leider sollte es nicht sein.“
Nieuwsblad: „Diese Generation bekommt nicht mehr viele Möglichkeiten. Noch eine, vielleicht. Nächstes Jahr bei der WM in Katar. Aber wird es jemals gelingen? In diesem entscheidenden Spiel waren sie einfach nicht gut genug.“
Grenzecho: „Ciao, Belgien! Aus der Traum vom Titel. Nach 45 Minuten waren sich alle Zuschauer und Experten einig: Das war das bislang beste Spiel der EM.“
Die Pressestimmen aus Spanien
Marca: „Italien ist zurück. Dieses neue Italien spielt guten Fußball – versteht es aber auch zu leiden. Die goldene Generation Belgiens muss jetzt auf die WM 2022 in Katar warten.“
AS: „Dieses Italien ist eine Augenweide. Gegen Italien zu spielen ist schlimmer als ein Zahnarztbesuch.“
Sport: „Der Erfolgsweg Mancinis und seiner Mannschaft geht weiter.“
El Mundo Deportivo: „Mit Italien ist nach dem Fehlen bei der WM 2018 ein Koloss zurück.“